Die Balfour Declaration, ihre Hintergründe und Folgen für Deutschland und Palästina
Johannes Freiland, 30.07.2023
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1. Einführung
Die Balfour Declaration vom 2. November 1917 ist das wohl folgenschwerste, kürzeste und seltsamste außenpolitische Vertragsdokument überhaupt. In nur 120 Wörtern verspricht Großbritannien darin den jüdischen Zionisten das Land Palästina – damals Teil des Osmanischen Reiches – als nationale Heimstätte für „das jüdische Volk“. Gerichtet ist dieser unscheinbare Brief an einen britischen Bankier, Kopf der Rothschild-Dynastie und Mitglied des House of Lords, des Oberhauses im britischen Parlament.
Verehrter Lord Rothschild[1],
Es ist mir eine große Freude, Ihnen im Namen der Regierung Seiner Majestät die folgende Erklärung der Sympathie mit den Bestrebungen der jüdischen Zionisten zu übermitteln, die dem Kabinett vorgelegt und von diesem gebilligt wurde.
„Die Regierung Seiner Majestät betrachtet die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina mit Wohlwollen und wird sich nach besten Kräften bemühen, die Verwirklichung dieses Ziels zu ermöglichen, wobei, wohlverstanden, nichts unternommen werden darf, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in irgendeinem anderen Land beeinträchtigen könnte.“
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Erklärung der Zionistischen Föderation[2] zur Kenntnis bringen würden.
Ihr ergebener
Arthur James Balfour[3]
Dieses Dokument ist der Öffentlichkeit kaum bekannt, seine lange Vorgeschichte und die Gründe und Hintergründe seines Zustandkommens erst recht nicht. Wenn doch einmal in Massenmedien darüber berichtet wird, dann werden die Hintergründe verschwiegen.
Anders kann man den Inhalt der Balfour Declaration auch so umreißen:
Eine Nation [Großbritannien] verspricht einer zweiten Nation [Zionistische Juden] feierlich das Land einer dritten Nation [Palästina/Araber], welches zu der Zeit noch Teil einer vierten Nation war [Osmanisches Reich/Türkei].
Wer diese wenigen Worte mit etwas außenpolitischem und historischem Verständnis liest und ihre ungeheure Tragweite erfasst, muß sich eigentlich fragen: Warum in aller Welt sollte Großbritannien so etwas tun? Was hatten die Zionisten als Gegenleistung anzubieten? Was konnte so wertvoll sein, daß Großbritannien dafür Palästina militärisch erobert und dauerhaft besetzt (ohne es kolonial zu verwerten), bestehende Verträge mit Verbündeten bricht, eine Welle diplomatischer Scherereien in Kauf nimmt und die Sympathien der gesamten orientalischen und arabischen Welt verscherzt?
Diese Fragen werden von Medien und Politikern kaum diskutiert: sie sind tabu. Doch es gibt sehr eindeutige, schlüssige und gut dokumentierte Antworten aus erster Hand – von den beteiligten Diplomaten und Vertretern des Zionismus selbst.
Erst mit diesem Hintergrundwissen ist in der Tiefe zu begreifen:
- Der Kriegseintritt der USA in den 1. Weltkrieg
- Das Versailler Diktat mit der Vernichtung des Deutschen Reiches
- Der Zerfall Österreich-Ungarns und des Osmanischen Reiches
- Die stark aufflammende Judenfeindlichkeit ab 1919 in der Weimarer Republik, in der Türkei und im arabischen Raum
- Der Aufstieg des Zionismus zur politischen Weltmacht, dessen Übernahme Palästinas und die spätere Gründung Israels
- Die heute allgemein akzeptierte Definition des Judentums als Volk/Rasse, statt als Religionsbekenntnis
- Der andauernde Bürgerkrieg zwischen Palästinensern und jüdischen Israelis
- Der unlösbare Nahost-Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten
Das sind Themen, welche das Schicksal Deutschlands und die Weltpolitik prägen bis in die Gegenwart. Für Bürger Deutschlands und Österreichs bringt das Verständnis der Hintergründe einige Aha-Erlebnisse mit sich, denn sie kommen in der offiziellen Geschichtsschreibung der Siegermächte nicht vor (somit auch nicht in Schulbüchern, in der universitären Geschichtsforschung, in den Massenmedien, die in der BRD per Gesetz der Siegergeschichtsschreibung verpflichtet sind – und nicht der Wahrheit).
Eine der wenigen Primärquellen zur verborgenen Vorgeschichte der Balfour Declaration ist der persönliche Bericht von James A. Malcolm, den ich übersetzt habe [MAL]. Hier nun versuche ich eine weitergehende Einordnung, insbesondere über die Folgen für Deutschland, Palästina und die Judenfrage.
James A. Malcolm und das Zustandekommen der Balfour Declaration
James Aratoon Malcolm (*1868 Bushehr/Persien †1952 London) war Finanzmakler, Waffenhändler, Journalist und Diplomat mit persisch-armenischer Abstammung und exzellenten Verbindungen zu jüdischen Großhändlern und Bankiers in Nahost und im Britischen Imperium. Er wurde 1906 britischer Staatsbürger. Er war Freimaurer in der United Grand Lodge of England.
Ab Spätherbst 1916 war Malcolm als Initiator und Unterhändler beteiligt an einer geheimen mündlichen Übereinkunft zwischen dem britischen Kriegskabinett (vertreten durch Sir Mark Sykes[4]) und der Zionistischen Weltorganisation (vertreten durch Chaim Weizmann[5] und Nachum Sokolov[6]),
worin die Zionisten zusicherten, die bis dahin neutralen Vereinigten Staaten von Amerika als Verbündeten Großbritanniens in den Ersten Weltkrieg hineinzuziehen; und Großbritannien sich im Gegenzug dazu verpflichtete, den Zionisten den Zugriff auf Palästina als jüdische Heimstätte zu sichern.
Das also ist des Pudels Kern! Dieser Vorgang mag unglaublich klingen, ist jedoch durch eine Vielzahl von Quellen belegt, vor allem durch Aussagen und Publikationen der an diesem Deal persönlich Beteiligten und ihrer Biografen. [MAL] [SYK] [LAN1] [LAN2] [FRE1] [THO] Besonders ausführlich geschildert wurden der Hergang und das monatelange diplomatische Bemühen auf höchster Ebene (in London, Washington, Paris, Vatikan) durch James A. Malcolm selbst in seinen Memoiren von 1944 [MAL]. In meiner Übersetzung finden sich weitere Quellenhinweise.
Wie Samuel Landman[7] notierte [LAN1], vollzog sich nach der telegrafischen Bekanntgabe der Londoner Übereinkunft im Oktober 1916 an die amerikanischen Zionisten „der Wandel in der offiziellen und öffentlichen Meinung zugunsten eines Kriegsbeitritts der Alliierten, widergespiegelt in der amerikanischen Presse, überraschend schnell.“ Finanziert von großen jüdischen Bankhäusern und mithilfe der amerikanischen Massenmedien (Zeitungen und Radiosender), die stark unter jüdischem Einfluss standen, fuhr man eine beispiellose Propaganda-Kampagne, worin Deutsche als blutrünstige, fühllose Untermenschen und Affen mit Pickelhaube tituliert und dargestellt wurden. Dies drehte die Meinung der amerikanischen Öffentlichkeit binnen weniger Monate von neutral bis pro-deutsch hin zu anti-deutsch, schließlich dermaßen hysterisch anti-deutsch und kriegsbegeistert, daß deutschstämmige oder kriegsskeptische Amerikaner vielfach Opfer von Lynch-Mobs wurden[8].
Parallel dazu gelang es zionistischen Regierungsberatern und Juristen durch persönliche Erpressung [FRE2] und geschickte Beeinflussung, Präsident Wilson von einem zumindest vordergründigen Kriegsgegner zu einem Kriegstreiber umzustimmen, der bereits im März 1917 offen dafür plädierte, aktiv militärisch in den Krieg einzugreifen. Die USA traten tatsächlich am 6. April 1917 offiziell in den Krieg ein, was das Kriegsgeschick der Alliierten wendete.
Da die Zionisten ihren Teil der Vereinbarung somit erfüllt hatten, bestanden sie auf einer schriftlichen und verbindlichen Erklärung Großbritanniens, nun seinerseits Palästina für die Zionisten sichern zu wollen. Im November 1917 wurde diese Zusicherung endgültig schriftlich abgefasst – in verschleierter Diplomatensprache – und von Außenminister Lord Balfour unterzeichnet zur Balfour Declaration. 1919 bei den Verhandlungen der Siegermächte in Paris und Versailles erhob die jüdisch-zionistische Delegation damit Anspruch auf Palästina als Kriegsbeute.
Entgegen der heute populären Interpretation, die Balfour Declaration sei nichts weiter als eine unverbindliche Absichterklärung, bezeichnet Professor Temperley[9], der offizielle Historiker der Pariser Friedenskonferenz, die Balfour-Erklärung als „einen definitiven Vertrag zwischen Großbritannien und dem Judentum“[10]. Die Gegenleistung für diesen Vertrag wurde von den Zionisten bereits lange vor dem 2. November 1917 erbracht [MAL]. Das erklärt, warum diese vertragliche Gegenleistung in der Balfour Declaration nicht erwähnt wird: es war nicht mehr nötig! In der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel (14.05.1948 in Tel Aviv) wird auf die Balfour Declaration explizit Bezug genommen.
Winston Churchill stellte am 4.7.1922 dem britischen Unterhaus die rhetorische Frage: [JOH]
Sollen wir unser Versprechen an die Zionisten aus dem Jahr 1917 einhalten…? Versprechen und Zusagen wurden während des Krieges gegeben, und sie wurden nicht nur aufgrund von Verdiensten gegeben, obwohl ich denke, daß die Verdienste beträchtlich sind. Sie wurden gegeben, weil man davon ausging, daß sie für uns von Wert sein würden in unserem Ringen, den Krieg zu gewinnen. Man war der Ansicht, daß die Unterstützung, die uns die Juden in der ganzen Welt, insbesondere in den Vereinigten Staaten und auch in Rußland, geben könnten, ein eindeutiger Vorteil sein würde. Ich war damals weder verantwortlich für die Abgabe dieser Versprechen noch für die Führung des Krieges, dessen Bestandteil sie waren. Aber wie andere Mitglieder habe ich die Politik des Kriegskabinetts unterstützt. Wie andere Mitglieder habe ich mit Stolz meinen Anteil an diesen großen Transaktionen akzeptiert, die uns mit schrecklichen Verlusten, mit gewaltigen Verpflichtungen, aber nichtsdestoweniger mit einem unanfechtbaren Sieg zurückließen.
[1] Lionel Walter Rothschild, 2. Baron Rothschild (*1868 †1937), britischer Bankier und Oberhaupt des britischen Rothschild-Clans, Mitglied des Oberhauses, Zionist, seinerzeit mächtigster Jude in Großbritannien.
[2] Die Zionist Federation, gegründet 1899, ist die britische Dachorganisation innerhalb der Zionistischen Weltorganisation.
[3] Arthur James Balfour, 1. Earl of Balfour (*1848 †1930), britischer Premierminister 1902-05, Oppositionsführer der Konservativen bis 1911, Erster Lord der Admiralität 1915-16 als Nachfolger Churchills, Außenminister ab 1917, Höchstgrad-Freimaurer
[4] Sir Tatton Benvenuto Mark Sykes, 6. Baronet (*1879 †1919) war ein britischer Schriftsteller, Oberst, konservativer Politiker und Diplomat. Diente im Kriegskabinett als Nah-Ost Berater, war Chefpropagandist für die arabische Welt. Engagierte sich für jüdische Ansprüche in Palästina.
[5] Chaim Weizmann (*1874 in Pinsk/Belarus, †1952 Israel) war ein bedeutender Chemiker, studierte in Darmstadt und Berlin, wirkte ab 1897 in der Schweiz, ab 1903 in England. Wurde 1910 britischer Staatsbürger und Sprengstoffentwickler. 1919 als Leiter der zionistischen Delegation in Versailles, ab 1921 Präsident der Zionistischen Weltorganisation, ab 1949 der erste Staatspräsident Israels
[6] Nachum ben Josef Samuel Sokolow (1859 Wyszogród †1936 London) war hebräischer Journalist und Schriftsteller, nach Herzls Tod ab 1905 Generalsekretär der Zionistischen Organisation in Köln, Präsident der Zionistischen Weltorganisation 1931-1935
[7] Samuel Landman war ab 1916 Sekretär von Chaim Weizmann and Nahum Sokolow, später Generalsekretär der World Zionist Organization.
[8] https://www.history.com/news/anti-german-sentiment-wwi
[9] Harold William Vazeille Temperley (*1879 †1939) war britischer Historiker und seit 1931 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Cambridge. War 1919 Mitglied der britischen Delegation bei der Pariser ‚Friedenskonferenz‘, was sich in mehreren Publikationen über die dortigen Verhandlungen niederschlug.
[10] siehe „A History of the Peace Conference of Paris“, London 1920, Band VI, S.173 [TEM] zitiert bei [MAL]