Die Balfour Declaration, ihre Hintergründe und Folgen für Deutschland und Palästina
Johannes Freiland, 30.07.2023
2. Versuch einer historischen Einordnung der Declaration
Militärische Lage im Herbst 1916
Im Herbst 1916, als Malcolm tätig wurde, hatten die Mittelmächte (Deutsches Kaiserreich, Kaiserreich Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich) den Krieg gegen die Alliierten (Frankreich, Britisches Imperium, Russisches Zarenreich) faktisch gewonnen. Kein feindlicher Soldat hatte deutschen Boden betreten. Zwar hatte die britische Marine seit Kriegsbeginn eine Seeblockade Deutschlands unternommen und schwächte damit Deutschlands Versorgung, jedoch hatte die deutschen U-Boote sich ab Februar 1915 als höchst wirksames Gegenmittel erwiesen[1], konnte die britische Blockade teilweise brechen und ihrerseits viele britische Versorgungskonvois versenken, woduch England allmählich Munition und Nahrung ausging. England hatte seine Kreditlinien bei den amerikanischen Großbanken ausgeschöpft und kam in finanzielle Schwierigkeiten. An der Westfront in Frankreich war in einem ungeheuer verlustreichen Stellungkrieg ein militärisches Patt entstanden. An der Ostfront begann das Zarenreich zu bröckeln und die russischen Soldaten desertierten. In der Levante[2] hatten sich die Alliierten nicht durchsetzen können, der von England finanzierte arabische Aufstand gegen das Osmanische Reich erwies sich als laues Lüftchen.
Aus dieser Situation hatten die Mittelmächte den Alliierten mehrfach Friedensangebote unterbreitet. Schon Anfang Oktober 1916 boten Deutschland über diplomatische Kanäle den Alliierten an[3], die deutschen Truppen zurückzuziehen und die Kampfhandlungen zu beenden, mit „Status Quo Ante Bellum“ also Rückkehr zum Zustand vor dem Krieg. In London zog man dieses Angebot ernsthaft in Erwägung[FRE1], denn die Lage war für Großbritannien schlecht.
Am 12. Dezember 1916 machte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg den Alliierten erneut ein Friedensangebot[4], diesmal hochoffiziell. Damit hätte der 1. Weltkrieg beendet sein können. Nun jedoch lehnten die Alliierten strikt ab. Die lahmen offiziellen Begründungen kann man Wikipedia entnehmen. Inoffiziell jedoch zeigen die Memoiren der Insider [MAL][SYK][LAN1], daß Großbritannien bereits ab Ende Oktober fest davon ausging, es würde gelingen, die USA zeitnah in den Krieg zu ziehen, und man sodann militärisch gewinnen könne!
Dies war bislang am Widerstand des amerikanischen Judentums gescheitert, in dessen Besitz oder Einfluss waren die meisten Großbanken und Massenmedien. Ein großer Teil der amerikanischen Juden war vor der Judenverfolgung im Zarenreich nach Amerika geflüchtet, andere hatten deutsche Wurzeln, daher sympathisierten beide Fraktionen mit Deutschland in seinem Kampf gegen Rußland. Der amerikanische Präsident Wilson hatte sich 1916 selbst als Friedensvermittler betätigt, seine Wiederwahl soeben mit dem pazifistischen Wahlkampfmotto gewonnen „He kept us out of war“. Wie und warum es dennoch mit Hilfe der Zionisten rasch gelang, die USA in den Krieg zu ziehen, ist Gegenstand von Malcolms Bericht als Mittäter.
Zugehörigkeit von Palästina 1915 bis 1921
Ein pikantes Detail der Übereinkunft zwischen Großbritannien und den Zionisten war, daß Palästina bis dato gar nicht zum britischen Einflussbereich gehörte, sondern zum Osmanischen Reich (welches mit dem Deutschen Reich verbündet war). Man versprach also den Zionisten etwas, das man noch gar nicht besaß! Mehr noch, man hatte Palästina zuvor insgeheim schon anderen versprochen, sogar zweifach! Nämlich Arabien im McMahon-Brief[5] im März 1916, und Frankreich als gemeinsames Verwaltungsgebiet im Sykes-Picot-Abkommen[6] vom 16. Mai 1916. Die Einwohner Palästinas wurden dabei nie nach ihrer Meinung gefragt.
Faktisch verpflichtete Großbritannien sich also zunächst zum Bruch bestehender Abkommen (mit Arabien und Frankreich) und zur militärischen Eroberung und Besetzung Palästinas. Letzteres gelang erst durch unmittelbare tatkräftige Schützenhilfe der Zionisten selbst: mithilfe des jüdischen Spionagenetzwerks NILI in Palästina, und mithilfe der Jüdischen Legion, insgesamt fünf Freiwilligen-Bataillonen der britischen Armee, im August 1917 gegründet und in den Palästina-Sinai-Feldzug von General Allenby eingegliedert. In dieser Legion dienten die ersten drei Premierminister des späteren Israel: David Ben-Gurion, Jitzchak Ben Tzwi und Levi Eschkol.
Erst als an dieser Front der militärische Erfolg und die Einnahme Palästinas durch Großbritannien absehbar erschienen – und die Briten somit zuversichtlich ihren Teils der Vereinbarung würden einlösen können – wurde die Balfour Declaration offiziell vom Außenministerium unterzeichnet.
Am 30. Oktober 1918 wurde der Palästina-Sinai-Feldzug im Waffenstillstand von Moudros für die Alliierten erfolgreich beendet, das Osmanische Reich war geschlagen. Erst 1920 wurden die britischen „Mandatsgebiete“ Palästina, Syrien und Libanon eingerichtet, vom kurz zuvor unter Druck der Siegermächte gegründeten Völkerbund. Die britische Verwaltung Palästinas begann offiziell im Juli 1921.
Einfluss auf den weiteren Kriegsverlauf
Als die Nachricht von der Übereinkunft zwischen Großbritannien und den angelsächsischen Zionisten im Oktober 1916 über die britischen diplomatischen Kanäle an einflussreiche Juden in aller Welt telegrafiert wurde, um sie zur aktiven Kriegsunterstützung der Alliierten und zur Einflussnahme auf die Politik und öffentliche Meinung in den USA aufzurufen, erhielten selbstverständlich auch die Mittelmächte umgehend Kenntnis davon. Das Deutsche Reich bemühte sich in den Folgemonaten noch strenger als bisher darum, den USA keinerlei Vorwand zur Kriegserklärung zu liefern, es beschränkte insbesondere den U-Boot-Krieg auf das Mittelmeer und mied Konfrontationen im Atlantik. Aber die Finanzklemme Großbritanniens war durch die neue Kreditbereitschaft der jüdischen US-Banken behoben und allmählich verschoben sich die Kräfteverhältnisse. Immer mehr Versorgungskonvois mit Waffen und Nahrung aus den USA nahmen Kurs auf England und erreichten ihr Ziel. Schließlich ließ das Deutsche Reich seine Zurückhaltung zur See fahren und erklärte am 1. Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und die Lage eskalierte rasch. Alliierte Provokationen häuften sich, Handelsschiffe wurden bewaffnet und beschossen aufgetauchte U-Boote. Einige von den Alliierten inszenierte, provozierte oder bewusst in Kauf genommene Versenkungen amerikanischer und britischer Passagierschiffe lieferten schließlich Präsident Wilson den Vorwand[7], am 2. April vor dem Kongreß eine sehr moralische Rede[8] zu halten und die Kriegserklärung zu fordern, natürlich nicht um Westeuropa zu erobern, sondern: „Die Welt muß für die Demokratie sicher gemacht werden“. Die Amerikaner müssten „für die Rechte und Freiheiten der kleinen Nationen“ kämpfen und „Frieden und Sicherheit bringen, um die Welt selbst endlich frei zu machen.“ Also dieselbe sattsam bekannte Rhetorik, mit der die USA bis heute jeden Krieg begründet haben.
Nach dem offiziellen Kriegseintritt der USA blockierten die Alliierten nun ihrerseits erfolgreicher die Mittelmächte zur See. In der Levante gelang den Alliierten der Sieg über das Osmanische Reich. Jedoch war das Zarenreich zerfallen und die Ostfront befriedet, die Westfront weiterhin ein Patt, Deutschland-Österreich darum auch 1918 militärisch nicht geschlagen und noch immer hatte kein feindlicher Soldat deutschen Boden betreten. In dieser Situation verhandelte das Deutsche Reich ab 29.09.1918 einen Waffenstillstand mit den Alliierten auf Basis von Wilsons 14 Punkte-Plan. Im Vertrauen auf diesen Vorvertrag zog das Deutsche Reich seine Truppen zurück und entwaffnete sich. Die Alliierten jedoch setzen sich über ihre Verpflichtungen hinweg! Sobald die Wehrmacht sich kampfunfähig gemacht hatte, erzwangen England und Frankreich bis 11. November 1918 eine völlige Kapitulation unter Missachtung der 14 Punkte unter Androhung militärischer Besatzung, wobei gleichzeitig – ebenfalls entgegen der Vereinbarung – die Blockade fortgesetzt und Deutschland dadurch in eine Hungerkatastrophe getrieben wurde.
Der Engländer Lord Buckmaster[9] kommentierte dies später so:
„Irgendeine Nation, so böse und abscheulich sie auch sein mag, auf der Grundlage bestimmter Bedingungen zur Waffenniederlegung zu veranlassen und dann, wenn sie wehrlos ist, ihr andere Bedingungen aufzuerlegen, ist ein Akt der Ehrlosigkeit, der niemals ausgetilgt werden kann.“
Das Versailler Diktat
Die anschließenden sogenannten „Friedensverhandlungen“ in Paris und Versailles fanden ab 18. Januar bis Mai 1919 unter Ausschluss der Mittelmächte statt, die derart aufgezwungen Bedingungen waren besonders für das Deutsche Reich zutiefst demütigend und desaströs. Deshalb ist der Begriff „Versailler Diktat“ treffender. Und so wurde es in Deutschland quer durch alle Parteien angesehen, auch von der SPD.
Der italienische Ministerpräsident Francesco Nitti[10] kommentierte [WAL]:
„Noch niemals ist ein ernstlicher und dauerhafter Friede auf die Ausplünderung, die Quälerei und den Ruin eines besiegten, geschweige denn eines besiegten großen Volkes gegründet worden. Und dies und nichts anderes ist der Vertrag von Versailles!“
Der britische Labour-Abgeordnete J.W. Kneeshaw sagte 1920 dazu [WAL]:
„Wären wir das besiegte Volk und hätten solche Bedingungen auferlegt bekommen, so würden wir, statt uns ruhig auf sie zu verpflichten, in unseren Schulen und Heimen begonnen haben, unsere Kinder auf einen Vergeltungskrieg vorzubereiten, der das unerträgliche Joch der Eroberer abschüttelt. Diese Bedingungen waren nicht nur ein Anschlag auf Deutschland und Österreich und andere besiegte Nationen, sie waren auch ein Anschlag auf das ganze Gewebe der Zivilisation.“
[1] https://www.history.com/news/u-boats-world-war-i-germany
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg/kriegsverlauf/u-boot-krieg.html
[2] Levante bedeutet „Morgenland“ und umfasst das Gebiet des heutigen Palästina/Israel/Gaza, Syrien, Jordanien, Libanon, Teile des Irak, Teile Ägyptens, Teile der Türkei. Die Levante war 1516-1918 Teil des Osmanischen Reiches, also über vier Jahrhunderte.
[3] Quelle: Brisbane Courier / New York Tribune 05.10.1916
[4] Quellen:
https://www.theeuropean.de/alexander-graf/11657-vor-100-jahren-friedensangebot-im-dezember-1916
https://www.welt.de/geschichte/article160151081/Als-das-Deutsche-Reich-der-Welt-den-Frieden-anbot.html
[5] Bei der McMahon-Hussein-Korrespondenz handelt es sich um eine Reihe von Briefen, die während des Ersten Weltkriegs ausgetauscht wurden. Darin erklärte sich die Regierung des Vereinigten Königreichs bereit, die arabische Unabhängigkeit in einer großen Region (einschließlich Palästina!) nach dem Krieg anzuerkennen, wenn der Scharif von Mekka im Gegenzug einen arabischen Aufstand gegen das Osmanische Reich anzetteln würde.
[6] Im Sykes-Picot-Abkommen wurden koloniale Interessengebiete im Nahen Osten nach der erwarteten Niederlage des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg festgelegt.
[7] Seither war inszeniertes Schiffeversenken ein wiederholt genutzter Eröffnungszug der USA, so „Pearl Harbour“ für den Kriegseintritt im 2. Weltkrieg, „Gulf of Tonkin“ für den Vietnam-Krieg.
[8] https://www.archives.gov/milestone-documents/address-to-congreß-declaration-of-war-against-germany
[9] Stanley Owen Buckmaster, 1. Viscount Buckmaster (*1861 †1934) war ein britischer Anwalt und Politiker der Liberal Party. Member of Parliament 1906-1915, Lordkanzler unter Premier Asquith 1915-1916 und somit Sprecher des Oberhauses.
[10] Francesco Saverio Nitti (*1868 †1953) war Ministerpräsident 1919-1920. Das Zitat stammt aus seinem Buch „Die Tragödie Europas – und Amerika?“ von 1924