Die Balfour Declaration, ihre Hintergründe und Folgen für Deutschland und Palästina
Johannes Freiland, 30.07.2023
4. Alija – Die Situation in Palästina bis zur Staatsgründung Israels
Die britische Verwaltung Palästinas begann offiziell im Juli 1921, und erst dadurch waren formell die Voraussetzungen für die massenhafte jüdische Einwanderung „Alija“[1] geschaffen – die allerdings zunächst nicht so massig ausfiel, wie die Zionisten sich das wünschten.
Zum einen war der Einwanderungswunsch bei der Mehrheit der Juden keineswegs so groß wie erhofft, zum anderen achteten die Briten als Protektoratsmacht auf kontrollierte und legale Einwanderung und auf Interessenausgleich mit den einheimischen Arabern, denen sie vertraglich ebenso verpflichtet waren wie den Zionisten, und sie achteten auf Eignung und Status der Einwanderer. Bevorzugt wurden wohlhabende Juden, und arbeitstüchtige Juden mit Kenntnissen in Landwirtschaft, Handwerk und Verwaltung.
Die wohlhabenden Juden jedoch hatten kaum Interesse, eine wohlsituierte, einflußreiche Position in ihren hochzivilisierten Heimatländern gegen ein unkomfortables, körperlich arbeitsreiches Leben als Pioniere in einem relativ unwirtlichen Agrarland auf primitiver Entwicklungsstufe zu tauschen. Und die ärmeren Juden hatten wenig praktische Kenntnisse der Landwirtschaft oder Interesse daran.
Das war nun ein Problem für die Zionisten, denn:
„Palästina als Land des Aufbaus kann neue, arbeitsuchende Einwanderer in demselben Verhältnis aufnehmen, wie durch einströmendes Kapital und Unternehmungsgeist neue Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden.“
„Es kann keine Einwanderung von Arbeitnehmern ohne eine Einwanderung von Arbeitgebern stattfinden.“
So der deutsche Zionist Dr. Georg Landauer, der für das Deutsche Reich federführend die Auswanderung organisierte.
Mit dem Ende des Zarenreichs und der Machtergreifung jüdischer Revolutionäre war auch die jahrzehntelange Judenverfolgung in Rußland – zuvor wichtigste Triebfeder der jüdischen Migration aus Asien nach Westen – weitgehend Geschichte. Zugleich trat mit dem Bolschewismus eine politisch-weltanschauliche Alternative zum Zionismus auf den Plan – ebenfalls von Juden erdacht und angeführt – die zu Palästina im Wettbewerb stand und Osteuropa/Rußland wieder attraktiver machte. Es kam zu einer Rückwanderung in die entstehende Sowjetunion hinein. So war auch zu Beginn des Protektorats der jüdische Bevölkerungszuwachs in Palästina noch moderat und rekrutierte sich hauptsächlich aus dem westlichen Randgürtel Rußlands (s.o.), getrieben einerseits von einer Wirtschaftskrise in Polen, andererseits von der Abschottung der USA im Immigration Act von 1924. Es gab dagegen kaum Einwanderer aus Frankreich, Deutschland, England oder den USA.
Mit der Machtübergabe an Hitler im Deutschen Reich Anfang 1933 und der beginnenden Umsetzung des NSDAP-Parteiprogrammes wurde der Auswanderungsdruck dort stärker, und das war den Zionisten willkommen. Sie schlossen im August 1933 das Ha‘avara Transferabkommen[2] mit der Reichsregierung, um über die Paltreu und die deutsch-jüdische Großbank Warburg die Emigration deutscher Juden und den Transfer ihres Geldvermögens nach Palästina bzw. die Kreditvergabe für die Umsiedlungskosten zu befördern und zu organisieren, was in beiderseitigem Interesse war. Auch Landwirtschaftsschulen für Emigranten wurden eingerichtet. So kam es ab 1933 erstmals zu einer größeren Einwanderung hochgebildeter deutscher Juden, was den Aufbau effizienter jüdischer Strukturen und Unternehmen in Palästina beförderte. Die beschleunigte Verdrängung möglichst aller Juden aus dem Deutschen Reich war Staatdoktrin, zugleich versprachen die Zionisten im Gegenzug Erleichterung bzw. Aussetzung des umfassenden weltweiten jüdischen Handelsboykotts gegen Deutschland, den sie erst im Frühjahr 1933 gefordert[3] und auch durchgesetzt hatten, sowie eine Bevorzugung deutscher Waren in Palästina. Diese Vorzugsbehandlung deutscher Waren beim Import in ein britisches Mandatsgebiet war wiederum den britischen Kaufleuten ein Dorn im Auge, zu deren Lasten es ging. Auch die wachsende Feindlichkeit der Briten gegenüber allem Deutschen in der Vorkriegszeit und erst recht in der Kriegszeit war hinderlich, dennoch wurde das Ha’avara Abkommen sogar noch im Krieg umgesetzt.
Von 1922 bis 1935 war der Bevölkerungsanteil der Juden von 9 % auf 27 % gestiegen. Die Palästinenser revoltierten ab 1936 gegen den zunehmenden Einwanderungsdruck und gegen die britische Besatzung, unterstützt vom arabischen Ausland. Die Briten erklärten das Kriegsrecht. Die Revolte wurde blutig niedergeschlagen, wobei geschätzte 10 % der männlichen Palästinenser verwundet, getötet oder inhaftiert wurden. Obwohl 20.000 zusätzliche britische Truppen und knapp 15.000 jüdische paramilitärische Kämpfer im Einsatz waren, dauerte es bis zum Herbst 1938, ehe die britische Kontrolle über das Mandatsgebiet weitgehend wiederhergestellt war. Um die Araber zu befrieden, von ihrer Deutschlandfreundlichkeit abzubringen und sie als Kriegsverbündete zu gewinnen, änderte Großbritannien 1939 seine Palästina-Politik und beschränkte den weiteren legalen Zuzug von Juden erheblich, es gab strikte Quoten, sogar ein völliges Verbot war geplant, wie im Weißbuch von 1939 festgehalten:
I/4: Die Regierung Seiner Majestät verkündet jetzt unzweideutig, daß es nicht ihre Politik ist, aus Palästina einen jüdischen Staat werden zu lassen. […]
I/10/1: Das Ziel der Regierung seiner Majestät ist die Errichtung eines unabhängigen Palästina-Staates innerhalb von zehn Jahren, der Vertragsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich in der Weise hat, daß die wirtschaftlichen und strategischen Interessen beider Länder berücksichtigt werden.
I/10/2: In dem unabhängigen Staat sollen Araber und Juden gemeinsam in der Weise regieren, daß die wesentlichen Interessen jeder Gemeinschaft gesichert sind. […]
II/13/1: Die jüdische Einwanderung wird in den nächsten fünf Jahren so geregelt, daß die Zahl der jüdischen Einwanderer ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Landes erreicht – vorausgesetzt, die wirtschaftliche Aufnahmefähigkeit des Landes erlaubt dies […] Vom April dieses Jahres an werden innerhalb der nächsten fünf Jahre 75000 Einwanderer zugelassen. […]
II/13/3: Nach fünf Jahren wird keine jüdische Einwanderung mehr gestattet, es sei denn, die Araber Palästinas wären hierzu bereit.
II/13/4: Die Regierung Seiner Majestät ist entschlossen, die illegale Einwanderung zu verhindern. […]
III/16: Der Hochkommissar erhält Vollmachten, den Landverkauf zu verbieten und zu steuern.
So wurde der Widerstand seitens der Araber einerseits und seitens der britischen Protektoratsmacht andererseits zum größten Hindernis und zur Quelle der Frustration für die Zionisten in Palästina.
Alija Bet – illegale Einwanderung und Paramilitärs
Es bildete sich schon früh eine radikal-zionistische Autonomiebewegung mit paramilitärischen Einheiten (Haganah ab1920, Irgun ab1931, Palmach ab1941), die zuerst gegen die Araber und später auch gegen die Briten – ihre alten Verbündeten und Kampfgenossen im Feldzug 1917/18 – nun einen Partisanenkrieg mit Terroranschlägen begannen, um Zugeständnisse zu erzwingen, Araber und Briten zu vertreiben und die unbeschränkte Einwanderung durchzusetzen. Schon seit 1937 stand auf illegalen Waffenbesitz die Todesstrafe, aber das änderte wenig an der guten Bewaffnung der zionistischen Milizen. Die Fluchthilfe und illegale Einwanderung „Alija Bet“ wurde von der zionistischen Organisation Mossad la-Alija Bet generalstabsmäßig organisiert und überholte zahlenmäßig bei weitem die gedrosselte legale Einwanderung. Dies wiederum führte zu wachsender Judenfeindlichkeit und Mißtrauen unter den Briten und Arabern in Palästina.
„…die Atmosphäre [war] gräßlich, überall saßen Privatdetektive, zionistische Agenten, arabische Scheichs, Sonderkorrespondenten herum und beobachteten sich gegenseitig.“
[der Brite Richard Crossman bei seinem Besuch in Jerusalem 1942 als Teil des Anglo-amerikanischen Untersuchungskomitees]
Die paramilitärischen Zionisten erklärten schließlich dem Britischen Protektorat 1944 den Krieg. Die größte Sorge der Briten wurde nun Selbstverteidigung und das Blockieren der illegalen Masseneinwanderung zur See. Die Briten errichteten eine Seeblockade, um die von der Alija Bet betriebenen Schiffe am Anlanden in Palästina zu hindern. Die dennoch ankommenden jüdischen Flüchtlinge aus Europa fanden sich nun als Insassen britischer Internierungslager wieder, wo die Milizen immer wieder Anschläge verübten, um die Insassen zu befreien. Die Eskalation gipfelte im berühmten Bombenanschlag am 22. Juli 1946 durch die von Menachem Begin[4] geführte Terrororganisation Irgun auf das Hotel King David in Jerusalem, das seinerzeit das Hauptquartier der Protektoratsverwaltung beherbergte, mit 91 Toten. Ab August 1946 wurden von den Briten bis zu 51000 illegale Einwanderer nach Zypern deportiert und dort gefangengehalten (Operation Igloo). Man versuchte sogar, sie wieder nach Europa abzuschieben (Operation Oasis).
Den Briten war klar, daß ihr Protektorat unhaltbar wurde. Nachdem die USA dankend abgelehnt hatten, diese Aufgabe zu übernehmen, kündigten die Briten im Frühjahr 1947 an, die Kontrolle an die 1945 neu gegründeten Vereinten Nationen (UN) zu geben[5], die Nachfolgeorganisation des Völkerbundes.
Nach der Annahme der UN Resolution 181 vom 29.11.1947, dem „Teilungsplan“, begannen die Zionisten eigenmächtig mit der Vertreibung der Einheimischen aus den Juden zugesprochenen Gebieten und es kam zu einer Serie von Massakern an Palästinensern und zu Kriegshandlungen zwischen palästinensischen und zionistischen Milizen, wobei letztere weit besser bewaffnet waren und größere Kampferfahrung hatten. Am 14. Mai 1948 wurde von David Ben Gurion[6] der Staat Israel ausgerufen. Am 15. Mai 1948 verließen die letzten britischen Streitkräfte endgültig Palästina.
Am selben Tag erklärte die Arabische Liga dem neuen Staat den Krieg. Unmittelbar danach begann der Einmarsch ägyptischer, syrischer, jordanischer, libanesischer und irakischer Truppen in Israel. Ihr unkoordiniertes Handeln, ihr Interesse, sich gegenseitig an der Besetzung Palästinas und damit am Machtzuwachs zu hindern, sowie die veralteten Strukturen ihrer Armeen ließen den Angriff jedoch schnell versanden. Die israelischen Zionisten waren seit Jahrzehnten kampferprobt und erhielten Waffen aus den osteuropäischen Sattelitenstaaten der Sowjetunion (dem alten Hauptsiedlungsgebiet der Ostjuden). Zwischen Oktober 1948 und Januar 1949 führten mehrere israelische Offensiven zu einer katastrophalen Niederlage der arabischen Angreifer.
[1] Alija bedeutet wörtlich Aufstieg, gemeint ist die Wallfahrt ins hoch gelegene Jerusalem.
[2] Gegr. 1798 war M.M.Warburg&Co 1933 die größte Privatbank Deutschlands. Sie betrieb wesentlich die Palästina Treuhandstelle zur Beratung Deutscher Juden GmbH (Paltreu). Über die 1934 als Teil des Ha’avara-Abkommens erschaffene Treuhandgesellschaft wurden drei Viertel aller Finanztransfers abgewickelt, die für die Emigration deutscher Juden und den Export deutscher Waren nach Palästina im Rahmen des Ha’avara-Abkommens nötig waren. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs flossen 140 Millionen RM durch die Bank. Weitere Aufgabe der Gesellschaft war es, jene deutschen Juden zu beraten, die nach Palästina auswandern und einen Teil ihres Vermögens mitbringen wollten. Die Paltreu stand unter der Aufsicht des Auswärtigen Amts, des Reichswirtschaftsministeriums und der Reichsbank.
[3] Die angelsächsischen Zionisten und Zeitungen erklärten im März 1933 einen „heiligen Krieg aller Juden“ gegen Deutschland, der mit allen Mitteln geführt werden müsse (Schlagzeile „Judea Declares War On Germany“). Aufgrund des großen Einflusses jüdischer Bankiers, Großhändler und Medienzare auf die globalen Geld- und Warenströme und die öffentliche Meinung war dieser Boykott eine ernste Bedrohung und spaltete in seinem reißerischen Aufruf die deutsch-jüdische Bevölkerung in deutsch Gesinnte und zionistisch Gesinnte.
[4] Menachem Begin (*16.08.1913 als Mieczysław Biegun in Brest-Litowsk, Russisches Kaiserreich; †09.03.1992). Nachdem er zunächst aus Polen in die Sowjetunion gegangen war, gelangte er in das Mandatsgebiet Palästina, wo er Kommandeur der terroristischen Untergrundorganisation Irgun Tzwai Le’umi wurde. Nach der Staatsgründung Israels wandte er sich der Politik zu und stieg 1977 schließlich zum israelischen Ministerpräsidenten auf.
[5] Siehe ausführlicher Artikel in Al Jazeera vom 23.05.2017
[6] David Ben Gurion (*16.10.1886 als David Josef Grün in Płońsk, Polen/Russisches Kaiserreich; †01.12.1973), wanderte 1906 nach Palästina aus, trat 1918 in die Jüdische Legion der Britischen Armee ein, wirkte mit am Aufbau der paramilitärischen Hagana, gründete die sozialistische Partei Achdut haAwoda, Vorsitzender der Arbeiterpartei Mapai, Mitplaner des Attentats 1946 auf das Hotel King David. 1948-53 und 1955-63 Premierminister Israels.